Messias Elias

„Ist doch klar: Ich bin ein echt heißer Typ!“

Gott, aus „Messias Elias“

Matthias Grau, Kuschel und die Sommerferien

Das Ende der Welt

Nach dem 2015 veröffentlichten Abenteuerroman „Erdenend – Das Ende der Welt“ geht es in diesem 2020 erschienenen Buch diesmal nicht um einen romantischen Ort, sondern tatsächlich um das Ende der Welt, genauer gesagt um das Ende der Menschheit. Denn Er ist zurückgekehrt: Nach über 8000 Jahren besucht Gott wieder mal die Erde und ist angesichts der verlotterten Menschheit ziemlich ungehalten. Da er sich nebenher auch noch um die anderen Probleme des Universums kümmern muss, ernennt er den arbeitslosen Elias Young kurzerhand zu seinem Sohn und beauftragt ihn damit, die Menschheit an seine Dreißig Gebote zu erinnern. Viel Zeit bleibt der Welt nicht, um auf den Pfad der Tugend zurückzufinden, denn der Tag des Jüngsten Gerichts steht praktisch unmittelbar bevor.


Leseprobe

So ein Pech: Da hat Elias Young soeben erst seinen Job verloren und nun läuft ihm auch noch die Freundin weg! Das Geld ist alle, die Wohnung fast schon verloren, denn die Mieten in London sind exorbitant hoch. Aus purer Verzweiflung wendet sich Elias mit einem Gebet an Gott und begibt sich anschließend zu Bett. Und siehe da – am nächsten Morgen …

Mein Bett steht schief! Irgendetwas lastet auf der Matratze. Ich werde gleich herunterrollen, wenn ich mich nicht anders hinlege!

Noch nicht, ich will noch nicht wach werden! Schlafen. Einfach weiterschlafen … Die Gegenwart ist zu deprimierend, um ihr so früh am Morgen schon Beachtung zu schenken.

Jetzt bewegt sich das da auf der Matratze auch noch. Ist Sara zurückgekehrt? Nein! Die Art, wie sie aus der Wohnung gestürmt war, hatte keinen Raum für Illusionen gelassen. Aber wenn sie es nicht war, wer oder was war das dann, dort am Fußende auf der Matratze?

Ich bin so furchtbar müde! Aber vielleicht sollte ich doch besser mal nachsehen!

Elias öffnete die Augen. Am Fußende des Bettes saß ein alter Mann. Die Beine auf dem Boden, den Ober­körper halb zu Elias hingedreht, sah er ihn an.

Wobei das Adjektiv ,alt‘ irgendwie nicht so richtig passte. Zwar hatte er grau meliertes Haar und seine sonnen­gegerbte Haut zeigte eine stattliche Anzahl an Falten. Aber die Augen blitzten frisch und jugendlich. Sie demonstrierten zudem eine innere Stärke, wie sie wohl nur aus unendlicher Weisheit und der Erfahrung von Äonen erwachsen konnte. Seine Mimik zeigte einen Hauch von … war es Erstaunen? Die Brauen waren leicht angehoben, vielleicht bedeutete dies auch Neugier. Und irgendwie … kam er Elias bekannt vor!

Verschlafen stützte er sich auf den Unterarm. Wortlos betrachtete er den Fremden. Dessen Haare waren sauber gescheitelt, sein Vollbart gestutzt. Er trug einen selbstgestrickten, grün-braunen Schlabberpullover, eine ausgewaschene Jeans und eine braune Lederjacke. Keiner­lei Schmuck, nicht mal eine Uhr, um seinen Auftritt zu verfeinern.

„Na? Entspricht meine Erscheinung deinen Vorstellungen?“ Der Mann brach das seltsame Schweigen als erster.

„Wer sind Sie denn überhaupt, und was machen Sie in meiner Wohnung?“

„Ach, komm schon! Nur weil ich kein Namensschild trage, muss das hier nicht ewig dauern!“

Elias setzte sich nun ganz auf und lehnte sich an die Wand. Diese Augen … der Bart … „Sie … Sie haben … irgendwie Ähnlichkeit mit … meinem Vater.“

„Ich habe mir auch alle Mühe gegeben, sein Aussehen möglichst detailgetreu anzunehmen. So etwa würde er heute wohl aussehen, wäre er noch am Leben.“

In der Tat! Der Mann sah aus, wie eine etwa zwanzig Jahre ältere Version seines Vaters! Elias’ Kinnlade folgte langsam der Erdanziehungskraft.

Das Gebet! Er hatte seinen Vater gar nicht erwähnt! Mühsam versuchte er, die noch übermächtige Müdigkeit abzuschütteln und in die Gänge zu kommen.

„Sie … sind … also …

Nein, das kann doch nicht …“

„Du hast mich gestern Abend angerufen. Hast um Antworten gebeten.“

Elias versuchte, das Offensichtliche zu verdrängen. „Nein, nein, Sie wohnen bestimmt nur in der Nach­barschaft! Ich vermute, Sie haben mich belauscht.“ Elias verschränkte trotzig die Arme und ließ sie sogleich wieder sinken, als der Mann fragte: „Was ist mit deinem Vater? Ihn hattest du nicht erwähnt! Das ist dir doch gerade eben selbst aufgefallen!“

Mein Gott, er kann Gedanken lesen! schoss es Elias durch den Kopf. Instinktiv versuchte er, nicht zu denken. „Ja, ganz recht – mein Gott! Du hast es also erraten!“

Elias und Gott unternehmen einen Ausflug durch London, allerdings wählt der Schöpfer die Strecke nicht zufällig aus, denn er will eine Kirche besuchen, um der Sonntagsmesse beizuwohnen, die ihm zu Ehren allwöchentlich abgehalten wird. Glaubt er zumindest. Leider gefällt ihm das, was er dabei erfährt, nicht sonderlich. Außerdem setzt er aus Versehen fast das Gebäude in Flammen. Wutentbrannt verlässt er die Kirche, Elias folgt ihm.

Er fand Gott, mental etwas derangiert, am Fuße der Treppe vor dem Eingang. „Jesus Christus? Unser Herr? Heiliger Geist? Ja, sind denn alle verrückt geworden? Hast du das auch gehört? Der Teufel? Was redet der Mann da nur für einen Unsinn? Dieses sinnlose Geseier! Wieso trägt er diese merkwürdigen Frauen­kleider und die lächerliche Mütze?“

Mit einem Mal schlug sein Entsetzen in Wut um. Er stampfte mit dem Fuß auf den Boden. Eine leichte Erschütterung rollte über den Platz und die Mauern der Kirche hinauf, wo sie sich in einem tiefen, lauten Glocken­schlag entlud. Die Menschen auf dem Platz, zum überwiegenden Teil wohl Touristen, zuckten erschrocken zusammen, denn der Glockenklang kam nicht oben vom Kirchturm, der ganze Himmel schien ihn abzustrahlen, er war überall, und er klang furchterregend, klar und tief, wie eine Totenglocke.

Mit ernster Miene nahm Gott Elias in die Pflicht, als er zurück zum Eingang zeigte. „Deine Zeit ist gekommen! Meine Aufgabe für dich beginnt hier und jetzt! Geh wieder hinein und fordere den Mann auf, sofort mit dem Unsinn aufzuhören!“

Die Totenglocke hatte Elias verschreckt. Folgsam fragte er: „Was soll ich ihm sagen? Ich meine, wie soll ich das begründen?“

„Mit den Dreißig Geboten! Du erinnerst dich doch?“ Mit schrägem Kopf ermahnte der alten Mann Elias. „Lerne die Gebote auswendig! Für heute will ich dir noch mal auf die Sprünge helfen: Du sollst neben mir keine anderen Götter haben! Du sollst Kinder beschützen und dich ihnen nicht in sexueller Absicht nähern! Jetzt geh!“

Gehorsam stieg Elias die Stufen hinauf und verschwand im Inneren der Kirche. Es vergingen etwa zwei, drei Minuten, bis die Türen sich öffneten und Elias von zwei Ministranten hinaus­eskortiert wurde.

Missmutig schlurfte er die Treppe hinunter. „Ich habe noch nie besonders überzeugend auf andere gewirkt. Das war schon immer so. Deswegen war ich wohl auch nicht so erfolgreich in meinem Job.“

Gott musterte ihn aufmerksam. „Mhm. Ich sehe schon, ich werde dich vielleicht ein wenig unterstützen müssen.“ Er fuhr sich

durch den Bart. Im selben Moment zitterte, nein – vibrierte die Hand deutlich sichtbar. Gott schaute sie erstaunt an. „Nanu? Hier? Um diese Zeit? Er steckte sich den Daumen ins Ohr, spreizte den kleinen Finger ab und rief: „Hallo? Gott hier! Ja? Oh! Aha! Ich verstehe! Ouha! Verstehe! Na klar! Verstehe! Ich verstehe! Mach ich, Chefchen!“ Freches Grinsen. „Bin sofort da!“ Er nahm den Daumen wieder aus dem Ohr.

„Ähm … hör mal, Elias, ich muss kurz weg! Betei­geuze ist kurz vor dem Abschmieren. Da muss ich mich drum kümmern und neuen Brennstoff nachlegen.“

„Beteigeuze? Ist das nicht ein Sternbild?“ versuchte Elias sich zu erinnern. „Das ist ein Stern. Eine Sonne. Aber eine richtige! Tausendmal so groß wie eure hier und zehntausendmal so hell!“ Elias staunte: „Zehntau…“

„Sie darf auf keinen Fall ausgehen! Hinterher muss ich noch zu GN-z11, das ist die am weitesten von euch entfernte Galaxie. Sie hat ihre Endphase erreicht und muss kontrolliert zusammengeführt werden, damit sie anschließend mit einem präzisen Urknall neu gestartet werden kann. Verstehst du?“

Elias Gesichtsausdruck ließ erahnen, dass die Angelegenheiten, von denen Gott da gerade berichtete, eine Nummer zu groß für ihn waren. „Äh … alles! Wird das lange dauern? Ich meine, kommst du noch mal zurück?“

„Keine Sorge, ich bin ja nicht weg! Ich bin überall! Nur konzentriert sich ein Großteil meiner Aufmerksamkeit vorübergehend auf ein paar andere Aufgaben. Du wirst schon sehen!“ Er zwinkerte Elias noch einmal zu, drehte sich um, rannte zwei, drei Schritte, federte sich mit dem letzten Schritt kräftig ab und sprang ins Nichts. Er löste sich einfach auf, blendete sich aus … oder …

Es ging so schnell und unspektakulär, dass Elias nicht einmal hätte beschreiben können, wie es genau passierte. Ratlos stand er da und schaute der … ,Entscheinung‘ hinterher.

Auf seiner Reise nach Rom zu Papst Francini macht Elias unfreiwillig in New York Zwischenstation. Der Schöpfer bittet ihn, die Gelegenheit doch gleich zu nutzen, bei der Finanzindustrie vorbeizuschauen und nachzufragen, warum sie gegen fünf seiner Gebote verstoßen hat. Um diesem Ansinnen mehr Gewicht zu verleihen, lässt Gott seinem Sohn Flügel wachsen, in der Hoffnung, als Engel würde er mehr Eindruck schinden. Die Unterhaltung mit dem Vorstandsvorsitzenden von Coldman Sucks läuft jedoch leider nicht so gut, wie erhofft.

„Kann ich Ihnen helfen? Wie sind Sie hier überhaupt reingekommen, das ist ein streng bewachter Sicherheitsbereich!“

In bedeutungsvoller Form und wohl akzentuierten Worten antwortete Elias: „Die Tatsache, dass ich dennoch hier stehe, sollte Ihnen daher zu denken geben!“ Er breitete die Flügel aus, was bei den Anwesenden bestürzte Reaktionen auslöste. Eine der Frauen riss die Arme vors Gesicht und fing an, zu wimmern. Die zweite hatte offenbar einen Schock erlitten, sie begann zu zittern und atmete in kurzen, hastigen Zügen, einem Überdruck­ventil nicht unähnlich.

Die in unmittelbarer Nähe sitzenden Personen wichen vor der plötzlich aufgetauchten Erscheinung panisch zurück, indem sie mit ihren Bürosesseln zurückrollten. Nur der Vorsitzende blieb erstaunlich gleichgültig. „Das ist ja eine sehr hübsche Vorstellung und ein ausgesprochen kreatives Kostüm, wenn ich mal so …“

Nachdem Elias durchgestartet und direkt vor ihm auf dem Tisch gelandet war, zeigte er sich doch beeindruckt. Mit Entsetzen wich auch er vor dieser schaurigen Gestalt zurück.

„Ich bin Elias, der Sohn Gottes. Ich bin nicht gekommen, um zu richten oder zu strafen. Der Herr hat mich beauftragt, die Menschheit an die Dreißig Gebote zu erinnern und somit auf den rechten Weg zurückzuführen.“ Er kratze sich am Kinn. Der Bart juckte fürchterlich.

„Sie haben mit ihrem Finanzunternehmen gleich gegen fünf Gebote verstoßen! Bei dreißig Geboten sind das ganze …“ Wenn dreißig Gebote hundert Prozent entsprechen, rechnete Elias, dann sind fünf Gebote, äh … verdammte Prozentrechnung!

„… dann sind das … ähm … ganze sechs Prozent!“

„Es sind 16,6 Prozent“, berichtigte der Vorsitzende, „aber warum rechnen Sie das in Prozente um?“

„Nun, ich, äh, weil ich …“ stotterte Elias. Ja, wieso eigentlich hatte er jetzt, in diesem wichtigen Moment, mit dieser vollkommen überflüssigen Prozentrechnung hantieren müssen, die er schon in der Schule nie begriffen hatte?

„Gegen welche Gebote haben wir denn Ihrer Meinung nach verstoßen?“ bohrte der Vorsitzende, der seine Selbstbeherrschung wiedergefunden hatte, weiter nach. Elias kam ins Schleudern. Was hatte Gott alles aufgezählt?

„Du … du … du sollst nicht lügen und betrügen! Du sollst nicht stehlen!“ Moment, was war da noch? Irgendwas mit … ach ja: „Du sollst dein Geld mit anderen teilen, wenn du viel davon hast. Du sollst keine Wucherzinsen erheben, wenn du Geld verleihst. Und du sollst nicht wetten und um Geld spielen.“ Ein selbstzufriedenes Lächeln glitt über sein Gesicht.

„Wann bitte haben wir denn gegen diese Gebote verstoßen? Könnten Sie da vielleicht konkreter werden?“ hakte der Vorsitzende nach. Elias’ Lächeln erstarb. Soeben waren ihm die Argumente ausgegangen.

In der Innentasche seines Leinengewandes knisterte ein Zettel. Nanu, grübelte Elias, er hatte sich doch gar nichts eingesteckt! Seine Hand förderte ein pergament­artiges Blatt zum Vorschein, beschrieben in göttlich-eleganter Federschrift.

„Ihr unwürdigen Nichtsnutze!“ las Elias vor. „Ihr habt Menschen betrogen und euch auf deren Kosten bereichert, schon seit Jahrzehnten. Coldman Sucks hat mit schneeballsystemähnlichen Investmentfonds Anleger hinters Licht geführt, Staatsschulden verschleiert, Anlage­risiken verheimlicht, Wetten abgeschlossen und damit die eigenen Kunden betrogen. Mit den Gewinnen zahlten Sie sich unverschämt hohe Boni. Außerdem haben Sie systematisch ehemalige Mitarbeiter in politische Ämter gehievt, um das gesellschaftliche Klima zu beeinflussen und dem Unternehmen einen Vorteil zu verschaffen.“

Das war’s. Keine Unterschrift. Er wendete das Blatt, fand aber auch auf der Rückseite keine weiteren Botschaften.

Der Vorstandsvorsitzende erhob sich, reichte Elias die Hand, ließ ihn vom Tisch herabsteigen und geleitete ihn in Richtung Tür. „Junger Mann, wir sind Ihnen sehr dankbar für Ihre Anregungen bezüglich unseres Geschäftsgebarens! Selbstverständlich werden wir uns mit den gegebenenfalls noch vorhandenen Defiziten intensiv auseinandersetzen und daraus resultierende Maß­nahmen als verbindliche Richtlinien in zukünftige Abläufe einarbeiten. Die Zahlung von Boni schadet unserer Gesellschaft übrigens nicht im Geringsten, im Gegenteil! Wir spenden für gemeinnützige Zwecke viel Geld! Wir sind also sehr wichtig! Wir helfen anderen Unternehmen, sich produktiv zu entfalten. Das schafft Arbeitsplätze und mehr Wohlstand für alle. Im Grunde befolgen wir also Gottes Gebote, wenn vielleicht in der Vergangenheit auch noch nicht zur Gänze. Aber ich verspreche, den Geboten ab sofort mehr Aufmerksamkeit zu widmen! Doch nun muss ich Sie leider bitten, uns wieder zu verlassen, denn wir haben hier eine wichtige Sitzung, bei der darüber beraten wird, wie wir die Gesellschaft in Zukunft noch intensiver beglücken können.“

Ein höhnisches Glucksen hallte unverhohlen durch den Raum. Elias spürte, wie sich tief in seinem Inneren etwas schmerzhaft zusammenzog. Hier war nichts mehr auszurichten. Widerwillig ließ er sich hinausschieben.

Hinter ihm fiel die schwere Tür mit metallischem Klacken ins Schloss. Gedämpft aber immer noch deutlich genug brandete hinter ihr Applaus und Gelächter auf. Wut und Scham stiegen heiß in ihm auf.

Gedemütigt ließ Elias den Kopf hängen. Am Boden, direkt zwischen seinen Füßen, fand er ein rechteckiges Stück Plastik. Er hob es auf. Eine Kreditkarte! Der Vorsitzende musste sie wohl eben verloren haben! Auf der Rückseite standen, mit Filzstift geschrieben, vier Ziffern. Könnte das vielleicht seine Geheimzahl sein?

Wird es Elias gelingen, die Menschheit im letzten Moment doch noch zu bekehren und so vor dem sicheren Untergang zu retten?

Der Abenteuerroman „Messias Elias“ versucht auf humorvolle Weise, die alten Geschichten aus den heiligen Schriften mit rationalem wissenschaftlichem Verstand auf Basis aktueller Forschungsergebnisse zu betrachten. Gleichzeitig ist das Buch eine bissige Parabel auf die derzeitigen gesellschaftlichen Verhältnisse. Ein heilloser Spaß für Atheisten, Agnostiker und alle, die es werden wollen.